Training gegen den Jagdinstinkt: Wenn der Hund die Rehe spannender findet als dich
Jagen liegt in den Genen
Es gibt diesen Moment, den fast jeder Hundehalter kennt: Man läuft entspannt durch den Wald, die Sonne scheint, die Vögel zwitschern… und plötzlich spannt sich die Leine, als hättest du einen Düsenjet am anderen Ende. Der Hund fixiert, die Ohren gehen nach vorne, die Muskeln zittern… und bevor du „Sitz!“ sagen kannst, ist er schon in einer ganz eigenen Netflix-Serie: Wildschweine – Staffel 3.
Der Jagdinstinkt ist kein böser Wille, sondern tief in den Genen vieler Hunde verankert. Vom Terrier, der ursprünglich Ratten jagen sollte, über den Vorstehhund, der für die Jagd gezüchtet wurde, bis zum Mischling, der einfach alles spannend findet, was sich bewegt: Jagen ist ein Grundbedürfnis. Und genau deshalb ist es so wichtig, es ernst zu nehmen und zu trainieren – nicht mit der Illusion, es „abzuschalten“, sondern mit dem Ziel, es zu kontrollieren.

Warum Hunde jagen… und warum es nicht verschwindet
Hunde sind Beutegreifer. Ihr Vorfahre, der Wolf, lebte vom Jagen, und viele unserer heutigen Rassen wurden gezielt für bestimmte Jagdaufgaben gezüchtet. Auch wenn dein Dackel jetzt gemütlich auf dem Sofa liegt, ist in seinem Kopf immer noch ein kleiner Jäger aktiv.
Das bedeutet: Jagdtrieb verschwindet nicht. Man kann ihn nicht „wegtrainieren“. Was man aber sehr wohl trainieren kann, ist der Umgang damit. Ein Hund, der gelernt hat, seine Impulse zu kontrollieren, bleibt ansprechbar, auch wenn ein Hase durchs Feld hoppelt. Und das macht den entscheidenden Unterschied zwischen entspanntem Spaziergang und unfreiwilligem 5-Kilometer-Sprint.
Beobachten und verstehen: Der erste Schritt zum Training
Bevor man mit dem Training beginnt, sollte man genau hinschauen: Wie zeigt sich der Jagdinstinkt beim eigenen Hund? Fixiert er nur? Rennt er sofort los? Oder „schleicht“ er wie ein Profi durch die Wiese?
Jagdverhalten läuft oft in Phasen ab: Wahrnehmen, Fixieren, Anpirschen, Hetzen, Packen, Töten. Nicht jeder Hund durchläuft alle Phasen. Manche fixieren nur, andere hetzen sofort los. Zu wissen, in welchem „Kapitel“ dein Hund besonders stark reagiert, hilft beim Training ungemein. Denn wer versteht, wo der Hund ansetzt, kann ihn dort abholen.


Rückruftraining: Die Königsdisziplin
Der Rückruf ist die Lebensversicherung im Jagdtraining. Doch ein einfaches „Hier!“ reicht nicht. Ein Hund, der mitten im Adrenalinrausch steckt, reagiert nicht auf halbgare Kommandos. Rückruftraining bedeutet, dass dein Signal stärker sein muss als der Reiz.
Dafür braucht es Zeit, Konsequenz und vor allem: positive Verknüpfungen. Der Hund muss lernen, dass Zurückkommen immer die beste Entscheidung ist. Es bringt nichts, den Hund nach einem gelungenen Rückruf anzuschimpfen, weil er überhaupt losgelaufen ist. Dann denkt er beim nächsten Mal: „Nee, danke, da bleib ich lieber beim Reh.“
Ein bombenfester Rückruf wird mit hochwertiger Belohnung aufgebaut… und die muss für den Hund besser sein als das, was er da gerade verpasst. Ob das Futter, Spiel oder ein besonders ausgelassenes Lob ist, hängt vom Hund ab.
Impulskontrolle: Warten lernen
Ein Hund mit starkem Jagdtrieb muss lernen, seine Impulse zu kontrollieren. Das klingt nach Hundeyoga, ist aber Alltagstraining. Übungen wie „Sitz und bleib“, während ein Ball wegrollt, oder kontrolliertes Gehen an der Schleppleine helfen, Selbstbeherrschung aufzubauen.
Wichtig ist dabei, das Training kleinschrittig zu gestalten. Ein Hund, der sofort bei jedem Bewegungsreiz explodiert, kann nicht gleich neben einem Hasen ruhig sitzen. Aber er kann lernen, bei einem weggeworfenen Stock zu warten… und sich langsam steigern.


Beschäftigung als Ventil: Jagen umlenken
Jagdtrieb ist Energie… und Energie will raus. Wer seinem Hund keine sinnvolle Beschäftigung bietet, läuft Gefahr, dass er sich selbst eine sucht. Nasenarbeit, Suchspiele, Dummytraining oder Mantrailing sind perfekte Ersatzhandlungen. Sie sprechen den Hund da an, wo der Jagdtrieb sitzt: in der Nase und im Kopf.
Ein Hund, der regelmäßig geistig und körperlich gefordert wird, hat weniger Grund, aus Langeweile Hasen hinterherzujagen. Das bedeutet nicht, dass der Jagdinstinkt verschwindet… aber er bekommt eine sinnvolle Richtung.
Schleppleine: Training mit Sicherheitsnetz
Die Schleppleine ist im Anti-Jagd-Training Gold wert. Sie gibt dem Hund Bewegungsfreiheit, aber dir die Kontrolle. So kann er lernen, auf Signale zu reagieren, ohne dass er jedes Mal erfolgreich Wild hinterherhetzt. Denn genau das ist der Knackpunkt: Ein Hund, der einmal erlebt hat, wie „erfolgreich jagen“ funktioniert, speichert dieses Erlebnis ab… und wird es wiederholen wollen.
Mit Schleppleine kannst du das Risiko minimieren und trotzdem trainieren. Sie ersetzt aber kein Training, sondern unterstützt es. Ziel ist, irgendwann auch ohne Leine klarzukommen.


Geduld und Konsequenz: Kein Sprint, sondern Marathon
Das Training gegen den Jagdinstinkt ist kein Wochenendprojekt. Es braucht Monate, manchmal Jahre… und selbst dann gibt es keine 100-prozentige Sicherheit. Ein Reh, das direkt vor der Nase losrennt, kann selbst den besttrainierten Hund noch triggern.
Aber jeder Schritt zählt. Jeder Rückruf, der klappt, jedes „Bleib“, das gehalten wird, stärkt die Beziehung und das Vertrauen. Und irgendwann kommt der Moment, in dem du deinen Hund im Wald anschaust, ein Reh siehst… und der Hund bleibt an deiner Seite. Das ist nicht nur Trainingserfolg, das ist pure Magie.
Kontrolle statt Verbot
Der Jagdinstinkt ist kein Fehler, sondern ein Teil des Hundes. Ihn zu unterdrücken funktioniert nicht… ihn zu kontrollieren schon. Mit Rückruftraining, Impulskontrolle, sinnvoller Beschäftigung und Geduld kannst du deinem Hund helfen, auch im Wald ansprechbar zu bleiben.
Und ganz nebenbei stärkst du die Bindung zwischen euch. Denn am Ende ist es nicht das Reh, das deinem Hund Sicherheit gibt… sondern du.